Johannes Gervé: Seestücke · Seascapes

Seestücke · Seascapes
18,00 € *

inkl. MwSt., zzgl. Versandkosten

Sofort versandfertig, Lieferzeit ca. 2-5 Werktage

  • 978-3-88190-577-0
Cover: gebunden
Seitenanzahl: 48 Seiten
Band-Nr.: Lindemanns Bibliothek Band 93
Inhalt: deutsch / englisch
Johannes Gervés Seestücke sind erfüllt von den dia­lek­tischen Begriffen der Ferne und Nähe, des... mehr

Johannes Gervés Seestücke sind erfüllt von den dia­lek­tischen Begriffen der Ferne und Nähe, des Aufbruchs und Innehaltens – dem Versuch, den flüchtigen Augenblick festzuhalten, bevor er vorüber ist. Gervés besondere Affinität zum Wasser und seine Reisen zur See konfrontieren ihn immer wieder aufs Neue mit den ständig wechselnden atmosphärischen und farblichen Besonderheiten des Landschaftsraums Meer. Die auf den Reisen erlebten, unterschiedlich intensiven Eindrücke trägt er lange in sich, bevor sie im Atelier manifeste bildnerische Gestalt annehmen.

Der künstlerische Vorgang ist im Gegensatz zu dem sich ständig in Bewegung befindlichen Reisenden ein Innehalten, ein Forschen und Ausloten dessen, was bleibt von all dem Gesehenen, Erlebten und Erspürten. Das Malen ist ein konzentrierter schöpferischer Vorgang, bei dem in vielen Bearbeitungen und Überarbeitungen die Farben Schicht für Schicht übereinander gelagert werden, zunächst grundierend, diffus, lasierend, dann immer dichter werdend, bis eine Bildordnung entsteht, die in Spannung versetzt wird durch die jeweilige Farbgebung und das Prinzip der Offenheit. Beim Arbeiten klärt sich die Komposition, die Perspektive auf den Landschaftsausschnitt, bis am Ende einzelne Formen Gestalt annehmen, wie zum Beispiel Schiffe oder Gebäude, die den vorher völlig offen angelegten Bildraum verdinglichen.

Diese Arbeitsweise macht deutlich, dass es sich bei den dargestellten Seestücken um imaginäre Landschaften handelt, die zwar durch reale Reiseerfahrungen veranlasst, jedoch nicht als mimetische Landschaftsporträts wiedergegeben werden. Auch die Farbgebung folgt rein künstlerischen Erwägungen in Verbindung mit tradierten Erfahrungen von Sehen und Empfinden.

Verfügt der Bildraum über keine Horizontlinie, nimmt der Betrachter eine eigentümlich schwebende Position ein, die die Ausschnitthaftigkeit der Landschaft aus einem größeren Ganzen deutlich macht und gleichermaßen aus der scheinbar großen Entfernung der Vogelperspektive Landschafts- und Zivilisationsdetails zu zeichenhaften Strukturen und Chiffren verkürzt. Seestücke, bei denen Johannes Gervé die Horizontlinie sehr tief ansetzt, kehren die Perspektive um. Der riesige Himmel über uns mit den imposanten Wolkenformationen lässt den Eindruck entstehen, dass wir nicht auf der Erdoberfläche leben, sondern unter dem Himmel in einem großen atmosphärischen Raum.

Diese Seestücke haben sich weit von ihren historischen Vorläufern entfernt, die man als autonome, spezifische Gattung der niederländischen Landschaftsmalerei seit dem 17. Jahrhundert kennt. Ging es dort noch um die Inszenierung von Natur im Zusammenspiel mit dramatischen Ereignissen auf See, wie zum Beispiel Strandungen, Schiffsuntergänge, Fischfang, Stürme oder Seeschlachten, entwickelte sich daraus bald das maritime Stimmungsbild, mit dem besonderen Reiz des sich auf der Wasseroberfläche spiegelnden Mond- oder Sonnenlichts. Die Romantik entdeckte das Seestück als hintergründiges Sinnbild von Einsamkeit und Unendlichkeit: als Seelenlandschaft. Die persönliche Naturbeobachtung in Verbindung mit ihrer allegorisch überhöhten Auslegung sollte bestimmte Stimmungen im Betrachter auslösen. Caspar David Friedrichs wohl berühmtester Aphorismus „Der Maler soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch, was er in sich sieht”?1 ist programmatischer Ausdruck der theoretischen Konzeption dieser Kunstauffassung.

Die Sehnsucht des Städters hinaus in die Natur war für viele weitere Künstler des 19. Jahrhunderts Antrieb auch in der Natur zu malen. Besonders schöne Seestücke mit kühnen, atmosphärischen Lichteffekten entstanden unter anderem im Werk von William Turner und Claude Monet.

Landschaften, vor allem Meeresbilder, die in sich die Vorstellung von Freiheit und Offenheit bergen, sind tradierte Orte der Sehnsucht. Ihre Differenzqualität zum Alltag vermag als das Andere, als das Fremde, die Sehnsucht der Menschen zu wecken. In der Malerei wurde und wird die Landschaftsmalerei zur Projektionsfläche für Emotionen, für die Frage nach dem Verhältnis des Menschen zur Natur und für rein künstlerische Überlegungen. Johannes Gervé führt seine Auseinandersetzung der geschauten erlebten Natur mit formalen Fragestellungen der reinen Malerei zu künstlerischen Landschaftskonstruktionen, die trotz starker Abstrahierung dem Gegenstand verbunden bleiben.

Die Seestücke räumen neben dem sich ständig ändernden Element des Wassers dem ephemeren Element der Luft einen weiten Raum ein. Atmosphärische Brechungen von Licht und Farbe sind vor allem bei den Wolkenformationen ein wichtiges gestalterisches Element, das Gervé in virtuosen Modulationen immer wieder neu inszeniert. Bilder wie „Seestück Cascais“ und „Maria Praia“ sind leichte, lasierend gemalte, helle, lichtdurchflutete Kompositionen, Werke wie „Marokko rot“ und „Sturmwolken“ sind dagegen mit pastosem Pinselschwung stark farbig angelegt. „Dodekanes Nacht“ und „Fähre“ sind dunkle Nachtstücke, die die Begegnung mit den funkelnden Lichtpunkten von Schiffen und Häusern während der Segelfahrten bei Nacht reflektieren. Einen besonderen, intensiv leuchtenden Glanz erreicht der Künstler durch die neu von ihm eingesetzten Leuchtpigmente bei der Darstellung des zivilisatorischen Feuers von Feuerwerksraketen, die ebenso flüchtig und schnell veränderlich sind wie die natürliche Atmosphäre, Licht und Wolken. Der Reiz des flüchtigen Augenblicks gipfelt in den Seestücken von Johannes Gervé in der ästhetischen Verzauberung eines offen gedachten Landschaftsraums, der durch die Vorstellungskraft des Betrachters seine Vervollkommnung findet.

Daniela Maier

Johannes Gervé, 1965 in Karlsruhe geboren, beginnt mit 19 Jahren sein Studium der Malerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe, das er nach sieben Jahren als Meisterschüler von Professor Klaus Arnold abschließt. Seit 1991 ist er als freischaffender Maler tätig. Sein Arbeits- und Lebensmittelpunkt ist Karlsruhe.

    

Zuletzt angesehen